Forderungsmanagement und Inkasso im E-Commerce
Wenn es um Payment geht, welche Besonderheiten müssen Online-Händler in Deutschland beachten?
Auch wenn sich bereits ein deutlicher Wandel im Einkaufsverhalten von Kunden vollzieht – der Großteil der deutschen Verbraucher prüft neue Zahlungsoptionen sehr genau. Ein gutes Beispiel hierfür ist PayPal: Der erst 2004 in Deutschland gestartete Dienst wurde auch erst vor fünf oder sechs Jahren so richtig populär, mit einem Marktanteil von rund 20 Prozent. Daher ist entscheidend, auf dem deutschen Markt das Vertraute und Bekannte anzubieten, also Zahlung auf Rechnung und Lastschrift. Diese beiden Zahlungsmethoden machen immer noch über 50 Prozent aller Zahlungen aus. Ein Online-Händler muss seinen Kunden die gewünschte Zahlungsart anbieten – für den deutschen Markt sollten das nicht mehr als sechs sein:
- SEPA-Lastschrift
- Zahlung per Rechnung
- PayPal
- Kreditkarte
- P2P bzw. Online-Banking (Beispiel Sofort-Überweisung)
- Vorkasse per Überweisung
Welche Herausforderungen entstehen speziell im Bereich Payment?
Einerseits müssen Online-Shops „Kauf auf Rechnung und „Lastschriftverfahren“ anbieten, andererseits ist insbesondere laut aktuellen Studien von ibi Research und des EHI der Kauf auf Rechnung die für Zahlungsstörungen anfälligste Vertragsvariante. Durch ausbleibende Zahlungen der Kunden kann ein Online-Händler schließlich selbst in Zahlungsschwierigkeiten gegenüber Lieferanten und Mitarbeitern geraten. Ein teures Aufstocken des Kontokorrents bei der Hausbank kann die Folge sein oder eine sinkende Bonität bei schlechtem Ranking. Ein konzeptionelles Risiko- und Forderungsmanagement ist also dringend angeraten, denn der Verzicht auf diese Zahlungsart kostet wertvolle Conversion und somit Umsatz.
Was sind die Besonderheiten von digitalem Forderungsmanagement und Inkasso?
Im Digital Commerce ist die digitale Aufbereitung der Störungsfälle (Forderungen) und deren Übergabe aus dem ERP, dem Shop-System oder einem professionellen Debitoren-Management wie billwerk wichtig. Für den Datentransfer ist eine digitale Schnittstelle zum Dienstleister erforderlich. Hierfür sollte der Dienstleister dem Auftraggeber folgen und sich an beliebige Stellen andocken können. Wird der Fall bearbeitet, sollte dieser Prozess bi-direktional angelegt sein, um die Datensätze (inkl. Reports)anzureichern und wieder an den Auftraggeber zurückzuspielen. Dies sorgt für effiziente und massentaugliche Vorgänge, ermöglicht die Erstellung von Algorithmen und unterschiedlicher Workflows – bis hin zur Optimierung der Prozesse beim Auftraggeber auf der Basis der durch den Dienstleister gewonnen Erkenntnisse.
Digitales Forderungsmanagement bedeutet vor allem aber auch, dass die Kommunikation mit dem Schuldner so fortfährt, wie der Vertrag begonnen hat – digital. Paradox, aber zum digitalen Forderungsmanagement gehörend: Der Schuldner sucht weiterhin den persönlichen Kontakt zu uns.
Welche Strategie im Forderungsmanagement können Sie empfehlen?
Viele Schritte lassen sich automatisieren: Fälligkeiten-Monitoring, In-Verzug-Setzen, Mahnen, Kommunizieren, Überwachen etc. Sind alle kaufmännischen Maßnahmen erschöpft, die Forderung bleibt aber noch immer offen, ist es sinnvoll, als nächste Instanz, einen juristischen Vertreter zu wählen. Meine Empfehlung: Je eher dieser Schritt gegangen wird, desto größer sind die Erfolgswahrscheinlichkeiten. Den richtigen Übergabezeitpunkt muss aber jeder Anbieter im Sinne einer positiven Customer Experience selbst bestimmen.
Wie würden Sie die Facetten des Forderungsmanagements beschreiben?
Betriebswirtschaftlich sind diese Abwälzungsvarianten aufgrund der Risikoabschläge, der fehlenden Datenverfügbarkeit und weiterer Auflagen nicht immer optimal – darauf ist hinzuweisen. Diese Varianten können gegebenenfalls zum Start eines Unternehmens als „Rundum-sorglos-Lösung“ aufgrund des hohen Liquiditätsdrucks passen, sind aber nach spätestens drei oder vier Jahren nicht mehr unbedingt erste Wahl. Meine Empfehlung: Bewerten Sie die Varianten ganz pragmatisch und regelmäßig durch eine Aufwands- und Erlösrechnung und gehen Sie bei der Auswahl der Lösung strategisch vor.
Was sind die größten Risiken im Digital Commerce im Vergleich zum stationären Handel?
Im Zeitalter des Omni- und Multi-Channel-Handels geht es um die Risiken des Handels an sich bzw. um die unterschiedlichen Absatzkanäle Online oder Point-of-Sale. Grundsätzlich stehen digitale Unternehmen vor Risiken wie andere Firmen auch, zum Beispiel Personen-, Sach- oder Vermögensschäden, aber auch Diebstahl und Betrug. Speziell für den digitalen Handelsplatz zählen Urheberrechtsverletzungen, Abmahnungen, Cyber-Attacken, unzureichende Datensicherheit oder Verfügbarkeit von Shops zu den Gefahren. Ich würde aber sagen, dass sich vor allem Zahlungsausfälle und Identitätsdiebstahl besonders bedrohlich auswirken können, da sie sich unmittelbar negativ auf das Kundenverhältnis auswirken und erhebliche finanzielle Belastungen für den Händler zur Folge haben können.
Wie sollte man nun konkret mit diesen Erkenntnissen umgehen?
Eine Bedarfsanalyse ist der erste Schritt. Als Orientierungshilfe – für alle, die noch nicht so mit der Materie vertraut sind – empfehle ich den kostenlosen Leitfaden „Risiko- und Forderungsmanagement im Digital Commerce“. Diesen haben wir im Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) entwickelt.
http://www.bvdw.org/medien/risiko–und-forderungsmanagement-im-digital-commerce?media=8157
Vielen Dank für das Gespräch!
Seit über 50 Jahren ist die Kanzlei KSP im Zivil- und Wirtschaftsrecht tätig. Das anwaltliche Inkasso ist das Kerngeschäft des Unternehmens. Der Autor Michael Sennert ist Bereichsleiter des eCommerce | Handel | Payment und zuständig für das Business Development.